Grenzen verschieben

Ortspezifische Performance mit Einbezug des Publikums

Marei Seuthe: Cello, Gesang
Christiane Budden, Erika Winkler, Britta Lieberknecht: Tanz
Konzeption, Installation: Britta Lieberknecht

Tanz- und Musikperformance
Begegnung von Publikum und Performerinnen in ungewohnter Nähe und Distanz. Eine Einladung gleichermaßen zur Interaktion wie zur Wahrung der persönlichen Grenzen.

Erste Version
Beitrag des Ausstellungsprojekts Kreise öffnen  7.10./ 11.10.2025 Kreishaus Bergisch Gladbach
Dauer ca. 20 Min.
Die Performances wurden zur Wahrung der Privatsphäre des Publikums nicht fotografiert/ gefilmt.
Die Kreation wurde ermöglicht durch die Einladung des Rheinisch-Bergischen Kreises. Ich danke dem Kulturreferat für das Vertrauen und die Unterstützung.
Anlass war der 50-jährige Jahrestag der kommunalen Neustrukturierung Nordrhein-Westfalens.

Das Verschieben der unsichtbaren administrativen Grenzen 1975 wirkt sich bis heute auf die Kommunikation der im Rheinisch-Bergischen Kreis lebenden Menschen miteinander aus.
Dies inspiriert Britta Lieberknecht die gewohnte räumliche Situation einer Performance neu zu ordnen.
Ihr Projekt erkundet die Wirkung einer räumlichen Grenzverschiebung zwischen Performerinnen und Publikum auf die Wahrnehmung und die Kommunikation.
Im großen Sitzungssaal des Kreishauses sitzt  das Publikum auf zwei 24 m langen Stuhlreihen  einander gegenüber. Im ca. 80 cm breiten Freiraum in der Mitte des so geschaffenen Korridors agieren die  Performerinnen. Die Zuschauer*innen sind den Performerinnen so nahe gerückt, dass sie einander  berühren können. Und sie sehen die Performerinnen in bis zu 24 m weiter Distanz am Ende des Korridors.
Die vier Perfomerinnen wenden sich einzelnen Personen im Publikum zu oder begegnen einander, musikalisch und tänzerisch improvisierend. Die Zuschauer*innen erleben Kontakt sowohl persönlich als auch aus der beobachtenden Position.

Wie gehen alle Beteiligten mit der ungewohnten Nähe um, was für Strategien, innere Einstellungen werden gewählt? Wird die Nähe als erwünscht oder als aufgezwungen erlebt? Ist es teilnehmende Beobachtung oder Voyeurismus? Wie werden die unterschiedlichen Energien und Eindrücke  wahrgenommen und vermittelt?
Wahren wir Distanz oder verschieben wir unsere innere Grenze und es entsteht etwas zwischen Perfomerinnen und Publikum und zwischen den Zuschauer*innen untereinander? Wie nehmen wir das Geschehen über die Distanz oder in der Nähe wahr? Was bildet sich zischen den nebeneinander und gegenüber sitzenden Zuschauenden? Was ist erlaubt, gewünscht, verboten? Das Publikum und wir müssen uns auseinandersetzen mit unseren persönlichen Grenzen, Nähe und Distanz betreffend.
Man kann auch sagen, dass mit dem Zusammenstauchen des Raumes so manches durcheinander kommt. Gefühle und Gedanken werden aufgewirbelt. Im sicheren Bereich einer respektvollen Situation.


BERICHT ÜBER DIE PERFORMANCES IM KREISHAUS BERGISCH GLADBACH
von Britta Lieberknecht
Aus meinem Blickwinkel als Performerin kann ich nur ganz subjektiv berichten.
Wir leiten das Publikum zu ihren Plätzen in der Stuhlinstallation durch die Mitte des Korridors. So machen sie eine eigene Erfahrung im Inneren des Korridors, in unserem Spielraum.
Die Sitzhaltung der einander gegenüber sitzenden Zuschauenden formt den Spielraum, in dem wir uns ohne Berührung bewegen können. Bewegt sich eine Zuschauer*in in unserer Nähe, verändert sich unserer Spielraum.
Wir sind im Korridor gleichmäßig verteilt und beginnen mit Bewegungen, diesen Spielraum zu füllen. Erst nur da zu sein, aus der Nähe schauen und angeschaut werden. Marei spielt erst sitzend, dann bewegt sie sich mit dem Cello zwischen den Sitzenden, mit einzelnen Klängen und Vibrationen nähert sie sich, ihr Arm, der den Bogen hält, kommt einer Schulter nahe, jemand beugt sich näher ans Instrument heran, um die Schwingung deutlicher zu erleben.
Jede von uns hat ein anderes Spiel, mit einzelnen Zuschauer*innen in Kontakt zu kommen. Wir versuchen zu spüren, ob die angespielte Person Kontakt will, wie nahe, wie bewegt, vielleicht sogar mit Berührung. Und wie lange oder kurz. Der lange Korridor sichert, dass das Verweilen nicht zu lange dauern wird- wir sind unterwegs. Es ist rein intuitiv, über den Blickkontakt und über die Ausstrahlung des Körpers, über die Reaktion. Nach 5 Minuten beginnen wir mit einer anderen Perfomerin Kontakt aufzunehmen und bilden zwei Duette. Wir spüren und berühren einander in Bewegung, und agieren auch mit dem Cello.
Jetzt werden wir angeschaut und die Zuschauenden machen unseren Bewegungen Platz, wenn wir den Spielraum herausfordern und bewegen sich dadurch mit.
Wir kommen zu viert im schmalen Zwischenraum zusammen. Es wird sehr eng und dicht und die nahen Zuschauenden haben viel Körper und Instrument vor der Nase. Die entfernten sehen ein agierendes Knäuel. Wir rennen oder bewegen uns schnell auseinander und aneiander vorbei, in Passagen durch die Mitte des Korridors. Die Füsse der Sitzenden reagieren, auch die Geschwindigkeit erfordert Kontakt und Wahrnehmung von allen. Auch hier spielen wir mit dem Spielraum, halten abrupt an, gehen in Kontakt miteinander oder mit Zuschauenden, lösen uns wieder und treffen uns im Trio tanzend. Marei sitzt und spielt konzertant dazu. Dann gehen wir frei mit dem Korridor, den Zuschauenden und miteinander um, in wechselnden Konstellationen und Bezügen, mit verschiedene Arten des Kontakts. Am Ende kommen alle Performerinnen zusammen und ziehen als Kette zum Eingang des Korridors, das Cello bespielend. Wir stehen vor dem Korridor und enden.

Jede Performance hat eine andere Atmosphäre und Energie. Das Publikum ist gemischt mit seiner Art, in Kontakt zu sein, distanziert oder interaktionsfreudig. Die Spannung im Raum kann sehr hoch sein, sie überträgt sich vom Publikum auf uns und andersherum. Wir erleben Menschen, die ihre Arme mit uns bewegen oder unseren Kopf in die Hände nehmen, uns Stütze anbieten oder uns anfassen. Auch angespannte Blicke und ein sich Zurückziehen: laß mich besser in Ruhe – was soll das alles hier? Fragende Blicke, Lachen, Zuschauer*innen wenden sich einander zu. Wir agieren immer mit Spürsinn. Wenn das Publikum mekt, dass wir uns selbst und sie spüren, kann Vertrauen entstehen. Wir sind einer Flut von Eindrücken ausgesetzt und können nicht alles im Korridor mitbekommen, es ist ein sich selbstständig entwickelndes Ereignis.
Wir waren sehr überrascht, wieviel Vergnügen bei diesen Performances entstand! Nicht nur der Kontakt mit Berührung, auch der distanziertere Kontakt war hoch interessant und vielfältig.
Mir scheint, wir sind beschäftigt mit einem Ur-Gefühl von Einschätzung, Abwehr, Zulassen, Nähe suchen bis zum Rausch einer Annäherung. Dieses intuitive Abmessen der Nahbarkeitsgrenzen ist so elementar, dass es jede und jeden betreffen kann.
Es ist unmöglich wiederzugeben, was ich alles erlebt und empfunden habe. Welche Fragen und welche Ergebnisse herausgekommen sind. Ich bin damit noch im Prozess.