Sonate für Violine Solo (13 Min.)

Tanz- und Musikperformance

Komponist: Bernd Alois Zimmermann 1951
Choreografie: Britta Lieberknecht
Violine: Hannah Weirich (Premiere),
Peter Stein (Voraufführung)
Tanz: Neus Barcons Roca
Videodokumentation: Barbara Schröer, Frank Domahs
Fotos: Werner Meyer, Barbara Schröer, Frank Domahs
Ansicht der Videodokumentationen auf Anfrage

Kooperation mit Acht Brücken I Musik für Köln, der Bernd – Alois – Zimmermann – Gesellschaft BAZG, Ensemble Musikfabrik und der HfMT Köln

Das Podium des Dirigenten als einen Ort der musikalischen Bewegung aufzufassen und das Wesen der Musik hier einmal nicht dirigierend darzustellen, sondern tänzerisch im Dialog mit der Musik umzusetzen war die Ausgangsidee dieses Tanzsolos zur Violinsonate von Bernd Alois Zimmermann, einem der herausragenden deutschen Komponisten der musikalischen Avantgarde (1918 – 1970). Eine Voraufführung fand zum 100 – jährigen Jubiläum des Komponisten in seiner Geburtsstadt Erftstadt für die Bernd-Alois-Zimmermann-Gesellschaft mit dem Violinisten Peter Stein statt. Die Premiere zeigte das Acht Brücken Festival in Köln im WDR Funkhaus mit der Violinistin Hannah Weirich im Programm „Metamorphosen“ des Ensemble Musikfabrik am 1. Mai 2018.

Die Tänzerin Neus Barcons Roca tanzt auf dem Podium des Dirigenten im Dialog mit der Musik Zimmermanns, großartig gespielt von der Violinistin Hannah Weirich mit einer Spannbreite von hinreissender Dynamik bis zu feinsten Klängen. Die Spiralen der Tänzerin entfalten sich variationsreich auf der eng begrenzten Fläche des Dirigentenpodestes. Sie reflektiert die Sonate feinsinnig in einem Prozess von höchster Angebundenheit an die Musik über kontrastierendes Timing bis zur Freiheit ihrer wild durchlässigen Bewegungen.

Musikerin und Tänzerin geben einander Raum, begeistern und unterstützen einander- ohne dass die Wirkung der höchst anspruchsvollen Sonate dabei an Ausdruck und Virtuosität einbüßt. Das Publikum belohnte die Darbietung mit Standing Ovations.

Presse

Zitat

„Das Dirigentenpodest gehört der Tänzerin. Es ist ihre Spielfläche. Denn die Orchesterstühle sind leer, das Podest ist frei. Nur die Tänzerin und ein Solist treten auf. Sie tut das Gegenteil von dem, was ein Dirigent oder eine Dirigentin an dieser Stelle täte: sie lenkt nicht Musiker und ihre Instrumente mit ihren Gesten und Haltungen, sie lässt sich bewegen von dem, was ein Musiker in einem und eine Musikerin im anderen Fall spielen…Zu wünschen wäre es, dass diese puristischen, konzentrierten und anrührenden Soli noch viel mehr Publikum bekämen.“
„Die Tänzerin windet sich hoch und runter, schwingt um die eigene Längsachse, schleudert die Arme von rechts nach links – alles Spiralbewegungen von unterschiedlicher Dynamik. Wenn man will kann man einzelne Gesten bestimmten Motiven der Violine zuordnen, aber nur punktuell. Dann sind Tänzerin und Geigerin für Momente eins in Tempo und Dynamik…Weil jede menschliche Regung auch Emotion enthält, ihr körperlicher Ausdruck aber nicht eine festgelegte Bedeutung hat, fesseln die 12 Minuten. Bei aller Abstraktion entwickelt die Choreografie Dramatik… Atmosphären, Stimmungen, die keine lineare Handlung, keine Sprache brauchen, um zu wirken.“

Ganze Kritik

Britta Lieberknecht choreografiert Soli zu Sonaten von Bernd Alois Zimmermann
Das Dirigentenpodest gehört der Tänzerin. Es ist ihre Spielfläche. Denn die Orchesterstühle sind leer, das Podest ist frei. Nur die Tänzerin und ein Solist treten auf. Sie tut das Gegenteil von dem, was ein Dirigent oder eine Dirigentin an dieser Stelle täte: sie lenkt nicht Musiker und ihre Instrumente mit ihren Gesten und Haltungen, sie lässt sich bewegen von dem, was ein Musiker in einem und eine Musikerin im anderen Fall spielen. Diese Grundidee teilen die zwei Soli, die Britta Lieberknecht für das Acht Brücken Festival in Köln zu Sonaten von Bernd Alois Zimmermann choreografiert hat und an einem Tag, doch in zwei verschiedenen Kontexten gezeigt hat. Beide eröffnen vor noch leeren Orchesterstühlen mit den kurzen und konzentrierten Stücken Konzertprogramme, zu denen sie bei aller Ähnlichkeit des formalen Ansatzes dann doch jeweils andere Stimmungen setzen, die auf das Folgende verweisen. Barbara Fuchs eröffnet zur Sonate für Viola Solo „… an den Gesang eines Engels“ zusammen mit dem Bratschisten Matthias Buchholz ein nach dieser Sonate benanntes Zimmermann Programm der Kölner Hochschule für Musik und Tanz in der Kölner Philharmonie.
Neus Barcons Roca tanzt mit der Violinistin Hannah Weirich zu Beginn des Konzerts „Metamorphosis“ des Ensembles Musikfabrik im großen Sendesaal des WDR Funkhauses: „Sonate für Violine solo“ von 1951. Beide treten barfuß wie in Probenkleidung auf: in blauen Trainingshosen und rotem Shirt Neus Barcons Roca, in schwarzer Stretchhose und dunklem T-Shirt Hannah Weirich. Umstandslos stellt sich jede auf ihren Platz, ein Atemzug, ein Blick: und jede beginnt. Die Tänzerin windet sich hoch und runter, schwingt um die eigene Längsachse, schleudert die Arme von rechts nach links – alles Spiralbewegungen von unterschiedlicher Dynamik. Wenn man will kann man einzelne Gesten bestimmten Motiven der Violine zuordnen, aber nur punktuell. Dann sind Tänzerin und Geigerin für Momente eins in Tempo und Dynamik. Die Choreografin Britta Lieberknecht interessiert sich nicht für die Illustration von Musik, sie will auch keine Geschichte erzählen, sie will erforschen welche Regung die Musik im Körper auslöst, wie der Tanz der Musik ein ebenbürtiges Gegenüber sein kann. Weil jede menschliche Regung auch Emotion enthält, ihr körperlicher Ausdruck aber nicht eine festgelegte Bedeutung hat, fesseln die 12 Minuten. Bei aller Abstraktion entwickelt die Choreografie Dramatik. Am Ende des Konzerts begreift man sie auch als Pendant zu dem experimentellem Stummfilm „Metamorphosis“ von 1954 zu dem Zimmermann die Musik schrieb und der mit der Livemusik gezeigt wird. Atmosphären, Stimmungen, die keine lineare Handlung, keine Sprache brauchen, um zu wirken.
Für das zweite Zimmermann Solo, das Britta Lieberknecht für das Festival choreografiert hat, „…an den Gesang eines Engels“ gilt alles, was über das Verhältnis von Tanz und Musik schon gesagt ist, doch hier ist die Emotion greifbar: Trauer, Verlust. Die Sonate entstand 1955 als ein Requiem nach dem Tod einer neugeborenen Tochter des Komponisten. Am Anfang legt Barbara Fuchs ihre Hände an den Rücken des Bratschisten Matthias Buchholz. Erspürt sie seinen Atem, seine Bewegung oder ist sie sanfte Führerin, Engel, der begleitet? Bernd Alois Zimmermann, der christlich und katholisch geprägt war und sogar Theologie studieren wollte, hatte jedenfalls einen tiefen spirituellen Bezug zu Engelvorstellungen. Wenn sich die Tänzerin vom Musiker löst und in ihren kleinen beschränkten Raum geht, nimmt sie mehr die innere Schwingung mit als die äußere Bewegung, die sie erspürt hat.
Sie gibt als erstes der Schwerkraft nach und legt sich auf das Podest, breitet die Arme aus, streckt die Beine in den Himmel, kreuzt sie, reibt die Füße aneinander: Die Choreografin, der als Atheistin die christliche Gedanken- und Bildwelt nicht nahe sind, deutet Kreuzsymbolik an, eine auf den Kopf gestellte Kreuzigung. Später wird sich die Tänzerin aufrichten, die Hände vor der Brust falten wie zum Gebet, sich drehen und winden. Sie wird in gebückter Haltung mit gespreizten Händen an den Ohren da stehen, lauschend auf den Klang des fernen Engels vielleicht. Schmerz und Leid werden hier als Emotionen sehr viel konkreter fassbar als in dem anderen Solo – doch auch hier hütet sich Britta Lieberknecht vor Klischees. Wie in der zweiten Choreografie will sie weniger eine äußere Form für Gefühl finden, als die innere Bewegtheit erspüren, die die Musik auslöst. Damit ist sie der Mystik, die höchste religiöse Erfahrung im Inneren und letztlich in der Abstraktion sucht nahe. Dieses Zusammentreffen der Erfahrung tiefer Gefühle und völliger Abstraktion darzustellen ist meist eine Gratwanderung zwischen spirituellem Kitsch und sperrigem kalten Formalismus. Doch nicht hier. In der Umsetzung gelingt es Barbara Fuchs sehr feinfühlig, innere Bewegtheit zu zeigen, die Zartheit tiefer Gefühle nicht mit großen expressiven Gesten zu über- und verzeichnen. Als sie nach dem letzten Ton langsam in kleinen Wellen ihre Arme und Hände ausschwingt ist das Publikum so still und konzentriert wie sie selbst. Lauschend auf den feinen Gesang eines Engels.
Ob und wann dieses Solo wieder zu sehen ist, ist ungewiss. Beide Soli waren Auftragsarbeiten für den Bernd Alois Zimmermann Schwerpunkt des Acht Brücken Festivals um die Britta Lieberknecht gebeten wurde, weil sie 2016 schon mit „Space for your Imagination“ zu Musik von Zimmermann choreografiert hatte. Immerhin für die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Musikfabrik besteht Aussicht auf weitere Aufführungen. Zu wünschen wäre es, dass diese puristischen, konzentrierten und anrührenden Soli noch viel mehr Publikum bekämen.

Zitat

Acht Brücken I Werke von Zimmermann im „Freihafen“-Programm
Kompletter Auszug aus der Rezension des Festivalprogramms
„Einen ganz eigenen Kontrapunkt zu den von Hannah Weirich und Mathias Buchholz meisterhaft gespielten Zimmermann – Solosonaten für Violine beziehungsweise Viola setzte die Choreographin Britta Lieberknecht. Sowohl frei als auch in erkennbarer Anlehnung an musikalische Gesten, Rhythmen, Tempi und Energiezustände bewegten sich die Tänzerinnen Neus Barcons Roca und Barbara Fuchs wahlweise akrobatisch, expressiv oder mit tändelnder Leichtigkeit.“