Sonate für Viola solo „…an den Gesang eines Engels“

Tanz- und Musikperformance

Komponist: Bernd Alois Zimmermann 1955
Choreografie: Britta Lieberknecht
Viola:
Mathias Buchholz (Premiere),
Peter Stein (Voraufführung)
Tanz: Barbara Fuchs
Videodokumentation: Barbara Schroer, Frank Domahs
Fotos: Werner Meyer, Frank Domahs
Ansicht der Videodokumentationen auf Anfrage

Kooperation mit Acht Brücken I Musik für Köln, der Bernd – Alois – Zimmermann – Gesellschaft, Ensemble Musikfabrik und HfMT Köln

Dauer 12 Min.

Das Podium des Dirigenten als einen Ort der Bewegung aufzufassen und das Wesen der Musik einmal nicht dirigierend, sondern im Dialog mit der Musik tänzerisch umzusetzen, ist die Ausgangsidee dieses Solos zur Bratschensonate von Bernd Alois Zimmermann, einem der herausragenden deutschen Komponisten der musikalischen Avantgarde (1918 – 1970). Eine Voraufführung fand zum 100 – jährigen Jubiläum des Komponisten in seiner Geburtsstadt Erftstadt für die Bernd-Alois-Zimmermann-Gesellschaft mit dem Violinisten/ Bratschisten Peter Stein statt. Die Premiere zeigte das ACHT BRÜCKEN Festival in der Kölner Philharmonie mit dem Bratschisten Mathias Buchholz im Konzert „…an den Gesang eines Engels“ der Hochschule für Musik und Tanz Köln am 1. Mai 2018.

Während des Entstehungsprozesses der Sonate für Viola als Requiem starb die neugeborene Tochter des Komponisten. Ausgehend von einem Choral, zu dem sich die zerissenen komplexen Klänge zusammenfinden gilt diese Sonate als das bedeutendste Werk für Bratsche solo seit 1955 bis heute. Die Choreografie Britta Lieberknechts deckt die physische Substanz hinter der geistig anspruchsvollen Partitur auf und betont ihre organische und gefühlvolle Ebene. Trauer, Verlust und Hoffnung zeigt Barbara Fuchs mit bildstarkem Körperausdruck in Resonanz mit der komplexen Musik. „Mit reduzierten Bewegungen schafft sie eine Interpretation des Trauerprozesses des Komponisten, die mit den Klangfiguren spannungsvoll zusammenwirkt.“ (Tanznetz.de)
Sie beginnt hinter dem Bratschisten stehend, ihn berührend, mitschwingend – oder als Engel führend?- und legt sich auf das Podest mit den gekreuzten Beinen himmelwärts. Ihr bildstarker, manchmal skulpturenhafter Tanz ist abstrakt und lässt der Musik Raum. Musiker und Tänzerin wirken verbunden, jeder könnte der Engel des anderen sein. Gemeinsam schaffen sie magische Momente bis Ton und Bild sanft entschwinden.

Presse

Zitat

„Das Dirigentenpodest gehört der Tänzerin. Es ist ihre Spielfläche. Denn die Orchesterstühle sind leer, das Podest ist frei. Nur die Tänzerin und ein Solist treten auf. Sie tut das Gegenteil von dem, was ein Dirigent oder eine Dirigentin an dieser Stelle täte: sie lenkt nicht Musiker und ihre Instrumente mit ihren Gesten und Haltungen, sie lässt sich bewegen von dem, was ein Musiker in einem und eine Musikerin im anderen Fall spielen…
Zu wünschen wäre es, dass diese puristischen, konzentrierten und anrührenden Soli noch viel mehr Publikum bekämen.“
„Am Anfang legt Barbara Fuchs ihre Hände an den Rücken des Bratschisten Matthias Buchholz. Erspürt sie seinen Atem, seine Bewegung oder ist sie sanfte Führerin, Engel, der begleitet? Wenn sich die Tänzerin vom Musiker löst und in ihren kleinen beschränkten Raum geht, nimmt sie mehr die innere Schwingung mit als die äußere Bewegung, die sie erspürt hat…Schmerz und Leid werden hier als Emotionen sehr viel konkreter fassbar als in dem anderen Solo – doch auch hier hütet sich Britta Lieberknecht vor Klischees. Wie in der zweiten Choreografie will sie weniger eine äußere Form für Gefühl finden, als die innere Bewegtheit erspüren, die die Musik auslöst. Damit ist sie der Mystik, die höchste religiöse Erfahrung im Inneren und letztlich in der Abstraktion sucht nahe. In der Umsetzung gelingt es Barbara Fuchs sehr feinfühlig, innere Bewegtheit zu zeigen, die Zartheit tiefer Gefühle nicht mit großen expressiven Gesten zu über- und verzeichnen. Als sie nach dem letzten Ton langsam in kleinen Wellen ihre Arme und Hände ausschwingt ist das Publikum so still und konzentriert wie sie selbst. Lauschend auf den feinen Gesang eines Engels.“

Ganze Kritik

Britta Lieberknecht choreografiert Soli zu Sonaten von Bernd Alois Zimmermann
Das Dirigentenpodest gehört der Tänzerin. Es ist ihre Spielfläche. Denn die Orchesterstühle sind leer, das Podest ist frei. Nur die Tänzerin und ein Solist treten auf. Sie tut das Gegenteil von dem, was ein Dirigent oder eine Dirigentin an dieser Stelle täte: sie lenkt nicht Musiker und ihre Instrumente mit ihren Gesten und Haltungen, sie lässt sich bewegen von dem, was ein Musiker in einem und eine Musikerin im anderen Fall spielen. Diese Grundidee teilen die zwei Soli, die Britta Lieberknecht für das Acht Brücken Festival in Köln zu Sonaten von Bernd Alois Zimmermann choreografiert hat und an einem Tag, doch in zwei verschiedenen Kontexten gezeigt hat. Beide eröffnen vor noch leeren Orchesterstühlen mit den kurzen und konzentrierten Stücken Konzertprogramme, zu denen sie bei aller Ähnlichkeit des formalen Ansatzes dann doch jeweils andere Stimmungen setzen, die auf das Folgende verweisen. Barbara Fuchs eröffnet zur Sonate für Viola Solo „… an den Gesang eines Engels“ zusammen mit dem Bratschisten Matthias Buchholz ein nach dieser Sonate benanntes Zimmermann Programm der Kölner Hochschule für Musik und Tanz in der Kölner Philharmonie.
Neus Barcons Roca tanzt mit der Violinistin Hannah Weirich zu Beginn des Konzerts „Metamorphosis“ des Ensembles Musikfabrik im großen Sendesaal des WDR Funkhauses: „Sonate für Violine solo“ von 1951. Beide treten barfuß wie in Probenkleidung auf: in blauen Trainingshosen und rotem Shirt Neus Barcons Roca, in schwarzer Stretchhose und dunklem T-Shirt Hannah Weirich. Umstandslos stellt sich jede auf ihren Platz, ein Atemzug, ein Blick: und jede beginnt. Die Tänzerin windet sich hoch und runter, schwingt um die eigene Längsachse, schleudert die Arme von rechts nach links – alles Spiralbewegungen von unterschiedlicher Dynamik. Wenn man will kann man einzelne Gesten bestimmten Motiven der Violine zuordnen, aber nur punktuell. Dann sind Tänzerin und Geigerin für Momente eins in Tempo und Dynamik. Die Choreografin Britta Lieberknecht interessiert sich nicht für die Illustration von Musik, sie will auch keine Geschichte erzählen, sie will erforschen welche Regung die Musik im Körper auslöst, wie der Tanz der Musik ein ebenbürtiges Gegenüber sein kann. Weil jede menschliche Regung auch Emotion enthält, ihr körperlicher Ausdruck aber nicht eine festgelegte Bedeutung hat, fesseln die 12 Minuten. Bei aller Abstraktion entwickelt die Choreografie Dramatik. Am Ende des Konzerts begreift man sie auch als Pendant zu dem experimentellem Stummfilm „Metamorphosis“ von 1954 zu dem Zimmermann die Musik schrieb und der mit der Livemusik gezeigt wird. Atmosphären, Stimmungen, die keine lineare Handlung, keine Sprache brauchen, um zu wirken.
Für das zweite Zimmermann Solo, das Britta Lieberknecht für das Festival choreografiert hat, „…an den Gesang eines Engels“ gilt alles, was über das Verhältnis von Tanz und Musik schon gesagt ist, doch hier ist die Emotion greifbar: Trauer, Verlust. Die Sonate entstand 1955 als ein Requiem nach dem Tod einer neugeborenen Tochter des Komponisten. Am Anfang legt Barbara Fuchs ihre Hände an den Rücken des Bratschisten Matthias Buchholz. Erspürt sie seinen Atem, seine Bewegung oder ist sie sanfte Führerin, Engel, der begleitet? Bernd Alois Zimmermann, der christlich und katholisch geprägt war und sogar Theologie studieren wollte, hatte jedenfalls einen tiefen spirituellen Bezug zu Engelvorstellungen. Wenn sich die Tänzerin vom Musiker löst und in ihren kleinen beschränkten Raum geht, nimmt sie mehr die innere Schwingung mit als die äußere Bewegung, die sie erspürt hat.
Sie gibt als erstes der Schwerkraft nach und legt sich auf das Podest, breitet die Arme aus, streckt die Beine in den Himmel, kreuzt sie, reibt die Füße aneinander: Die Choreografin, der als Atheistin die christliche Gedanken- und Bildwelt nicht nahe sind, deutet Kreuzsymbolik an, eine auf den Kopf gestellte Kreuzigung. Später wird sich die Tänzerin aufrichten, die Hände vor der Brust falten wie zum Gebet, sich drehen und winden. Sie wird in gebückter Haltung mit gespreizten Händen an den Ohren da stehen, lauschend auf den Klang des fernen Engels vielleicht. Schmerz und Leid werden hier als Emotionen sehr viel konkreter fassbar als in dem anderen Solo – doch auch hier hütet sich Britta Lieberknecht vor Klischees. Wie in der zweiten Choreografie will sie weniger eine äußere Form für Gefühl finden, als die innere Bewegtheit erspüren, die die Musik auslöst. Damit ist sie der Mystik, die höchste religiöse Erfahrung im Inneren und letztlich in der Abstraktion sucht nahe. Dieses Zusammentreffen der Erfahrung tiefer Gefühle und völliger Abstraktion darzustellen ist meist eine Gratwanderung zwischen spirituellem Kitsch und sperrigem kalten Formalismus. Doch nicht hier. In der Umsetzung gelingt es Barbara Fuchs sehr feinfühlig, innere Bewegtheit zu zeigen, die Zartheit tiefer Gefühle nicht mit großen expressiven Gesten zu über- und verzeichnen. Als sie nach dem letzten Ton langsam in kleinen Wellen ihre Arme und Hände ausschwingt ist das Publikum so still und konzentriert wie sie selbst. Lauschend auf den feinen Gesang eines Engels.
Ob und wann dieses Solo wieder zu sehen ist, ist ungewiss. Beide Soli waren Auftragsarbeiten für den Bernd Alois Zimmermann Schwerpunkt des Acht Brücken Festivals um die Britta Lieberknecht gebeten wurde, weil sie 2016 schon mit „Space for your Imagination“ zu Musik von Zimmermann choreografiert hatte. Immerhin für die Zusammenarbeit mit dem Ensemble Musikfabrik besteht Aussicht auf weitere Aufführungen. Zu wünschen wäre es, dass diese puristischen, konzentrierten und anrührenden Soli noch viel mehr Publikum bekämen.

Zitat

Acht Brücken I Werke von Zimmermann im „Freihafen“-Programm
Kompletter Auszug aus der Rezension des Festivalprogramms
„Einen ganz eigenen Kontrapunkt zu den von Hannah Weirich und Mathias Buchholz meisterhaft gespielten Zimmermann – Solosonaten für Violine beziehungsweise Viola setzte die Choreographin Britta Lieberknecht. Sowohl frei als auch in erkennbarer Anlehnung an musikalische Gesten, Rhythmen, Tempi und Energiezustände bewegten sich die Tänzerinnen Neus Barcons Roca und Barbara Fuchs wahlweise akrobatisch, expressiv oder mit tändelnder Leichtigkeit.“